Akademische Nomadinnen?

Zum Umgang mit Mobilitätserfordernissen in akademischen Karrieren von Frauen

Das deutsche Wissenschaftssystem ist traditionell durch überdurchschnittliche Mobilitätsanforderungen gekennzeichnet: Die ,klassische‘ Abfolge einer wissenschaftlichen Laufbahn - Studium, Tätigkeit im wissenschaftlichen Mittelbau, Promotion, Tätigkeit als Postdoc, Habilitation, Vertretungsprofessuren, Professur - erfordert in vielen Fällen auf jeder Stufe einen oder mehrere Wechsel zu einer anderen Institution an einem anderen Ort, zumal durch die im Wissenschaftsbereich übliche Befristung der Beschäftigungen vor der Professur auch innerhalb einer Stufe oft mehrfach gewechselt werden muss. Das diesem klassischen Modell zu Grunde liegende Idealbild des räumlich mobilen, flexiblen, nur der Wissenschaft verpflichteten Wissenschaftlers steht jedoch in tendenziellem Konflikt mit den Anforderungen der privaten Lebensführung. Diese Konflikte werden aufgrund der immer noch recht wirkmächtigen geschlechtlichen Arbeitsteilung von Frauen und Männern unterschiedlich gelöst: Insbesondere in Partnerschaft und Familie kann es zum Konflikt zwischen beruflichen Interessen beziehungsweise Notwendigkeiten und privaten Anforderungen kommen, die traditionell Frauen stärker belasten als Männer. Dem Beitrag liegt die These zugrunde, dass es Frauen daher schwerer fällt, den Mobilitätserwartungen des deutschen Wissenschaftssystems mit seinen hohen Mobilitätsanforderungen nachzukommen. Trotz dieser Konflikte zwischen privater Lebensführung und den räumlichen Mobilitäts-und zeitlichen Flexibilitätsanforderungen steigt der Anteil hochqualifizierter Frauen in Wirtschaft und Wissenschaft auch auf den höheren Hierarchieebenen stetig, wenn auch die vielzitierte gläserne Decke immer noch an vielen Stellen nicht durchbrochen ist. Wie dies trotz der dargestellten Hindernisse gelingen kann, welche Strategien hochqualifizierte Frauen entwickeln, um private und berufliche räumliche Anforderungen zu verbinden, wie sie insbesondere mit Mobilitätsanforderungen umgehen, auf welchen Karrierestufen die Mobilitätsanforderungen besonders hoch sind und welche Rolle dabei die jeweilige Lebensform spielt, diesen Fragen geht der Beitrag auf der Grundlage einer Erhebung bei hochqualifizierten Frauen, die sich in einem männlich dominierten wissenschaftlichen Feld bewegen, nach. Die Einschätzungen der Befragten über die in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich antizipierten beruflichen und räumlichen Mobilitätsanforderungen werden den von den Befragten tatsächlich realisierten beruflichen und räumlichen Veränderungen gegenübergestellt, wobei sowohl nach den Disziplinen und Hierarchieebenen als auch nach den jeweiligen Lebensformen zum Zeitpunkt beruflicher bzw. räumlicher Veränderungen differenziert und zudem auf die Unterschiede zwischen den in der Wissenschaft Tätigen und vergleichbar qualifizierten Frauen in den Tätigkeitsbereichen Wirtschaft und öffentlicher Dienst eingegangen wird. Der Umgang mit beruflichen Mobilitätsanforderungen wird mit Hilfe einer Typologie verschiedener Mobilitätsmuster dargestellt, dabei wird besonders auf die Frauen in Führungspositionen im Wissenschaftssystem, vornehmlich Professorinnen, eingegangen. Abschließend wird ein Fazit zur Bedeutung räumlicher Mobilität für eine akademische Karriere gezogen.

Bibliographische Angaben:
Tippel, Cornelia; Becker, Ruth:
Akademische Nomadinnen?
Zum Umgang mit Mobilitätserfordernissen in akademischen Karrieren von Frauen;
In: Beaufaÿs, Sandra ; Engels, Anita ; Kahlert, Heike (Hrsg.): Einfach Spitze? Neue Geschlechterperspektiven auf Karrieren in der Wissenschaft; S. S. 204 - 230;
Frankfurt/New York: Campus, 2012
ISBN: 978-3-593-39596-8




<<